Ziel war es öffentliche Orte, Geschäfte und Arztpraxen in einer App zu verzeichnen und nach einem Ampelsystem zu kennzeichnen wie barrierefrei der Ort ist. Grün steht dabei für vollständig barrierefrei, gelb für Einschränkungen, so ist bspw. nicht die gesamte Geschäftsfläche für Menschen im Rollstuhl zugänglich oder ein Rollstuhlfahrer benötigt Hilfe beim Betreten des Geschäfts. Rote Orte können vom Rollstuhlfahrer nicht genutzt werden, weil z.B. der Eingang viele Treppenstufen aufweist und weder Rampe noch Aufzug zur Verfügung stehen. Außerdem wird eingetragen, ob eine rollstuhlgerechte Toilette vorhanden ist. Begründet wurde das Projekt vom Berliner Rollstuhlfahrer Raul Krauthausen. Dieser hat die Glasknochenkrankheit und möchte nicht auf die Möglichkeit zur normalen Teilnahme am Sozialleben verzichten.
Im Projekt begegneten sich verschiedene Altersgruppen und Menschen mit unterschiedlichen Handicaps: 16 bis 20 Jahre alte Schülerinnen und Schüler, „körperlich fitte“ Senioren und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. An der Hilde-Domin-Schule gab es darüber hinaus eine Besonderheit: die Schülerteams waren gemischt jeweils aus zwei bis drei Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 1 des Sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Gymnasiums mit dem Profil Gesundheit (SGGG J1/2) und Schülerinnen und Schülern aus der „Flüchtlingsklasse“ VABR2 (Vorqualifizierung Arbeit und Beruf). Die jungen Flüchtlinge zeigten sich erstaunt, welche Schwierigkeiten behinderte Menschen selbst im hoch entwickelten Deutschland hätten. In ihren Heimatländern, die z.T. durch Krieg zerstört sind, werde keine besondere Rücksichtnahme genommen, außerdem fehle es an Infrastruktur.
Organisiert wurde das Projekt von der Klassen– und Gesundheitslehrerin der J1/2, Stefanie Seibert-Sproten und den beiden Klassenlehrerinnen der VABR2-Klasse Angelika Wieczorek und Andrea Widmann. „Das Projekt vertieft das im Gesundheitsunterricht erworbene Wissen zu Behinderung und Rehabilitation und ermöglicht den Schülerinnen und Schülern eine praktische Anwendung u.a. durch die Selbsterfahrung zeitweilig zum Rollstuhlfahrer zu werden und die Begegnung mit betroffenen Menschen“, so Seibert-Sproten. Wieczorek und Widmann versprechen sich von der Tandembildung zwischen jungen Flüchtlingen und Schülern des beruflichen Gymnasiums „eine Stärkung der Schulgemeinschaft“.
Im Verlauf des ca. dreieinhalbstündigen Mappings sammelten die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Erfahrungen. So beobachtete Bettina Hiller, dass auf dem Gehweg abgestellte Mülltonnen für die Rollstuhlfahrer aus der Gruppe ein großes Hindernis darstellten. Fehlende abgesenkte Bordsteinkanten machten ein Ausweichen auf die Straße unmöglich. Zu guter Letzt blieb nur das aus dem Weg räumen der Mülltonne übrig. Angelika Dingel von der DRK-Rollstuhlgruppe kennt diese und andere Hindernisse, auch achtlos auf dem Gehweg parkende Autos seien problematisch.
In einer anderen Gruppe mühte sich Abdullah aus der VABR2-Klasse seine Mitschülerin Amelie aus der J1/2 die steile Bronngasse in der Altstadt hoch zu schieben. Der unebene Kopfsteinpflasterbelag und die Steigung hätten es für Amelie alleine unmöglich gemacht. Bei der Filiale der Bäckerei Coc in der Bronngasse maß Abdullah mit dem Zollstock die Türbreite. Über 90 cm und nur eine winzige Kante zum Gehweg. Er zeigte sich zufrieden. Die Filiale erhielt eine grüne Markierung in der App und die Bäckereifachverkäuferin einen Aufkleber, den sie in der Scheibe anbringen kann, um zu signalisieren, dass der Ort in der Wheelmap verzeichnet ist. Einzige Einschränkung: da die Filiale nicht über ein Kunden-WC verfügt, erhält sie das Label „keine rollstuhlgerechte Toilette“.
Die Statistiker in den Kleingruppen befragten insgesamt 87 Herrenberger unterschiedlichen Alters mittels eines selbst entworfenen Fragebogens. Katharina Rodak und Bettina Hiller werteten die Ergebnisse aus: Die Altersspanne der Teilnehmer reichte dabei von zehn bis 90 Jahren. 57% der Befragten gaben an, dass sie Herrenberg nicht als barrierefrei empfinden, Dreiviertel sehen Menschen mit Behinderungen gar als benachteiligt an. Zweidrittel kannten das Projekt nicht. Grundsätzlich würden jedoch 60% der Befragten, nach Erklärungen der Schüler, die Wheelmap-App unterstützen. Nicht nur im Sinne von Rollstuhlfahrern, sondern auch von Eltern mit Kinderwagen bleibt zu hoffen, dass sich die App weiter mit eingestuften Orten füllt und der Bekanntheitsgrad steigt. Die 30 teilnehmenden Schülerinnen und Schüler der Hilde-Domin-Schule wollen jedenfalls in den kommenden zwei Wochen noch den einen oder anderen Ort in ihrer Freizeit mappen.